August 29, 2006

Methode der Gewaltarbeit 8

Methode wurde nochmal überarbeitet und Vertieft, so dass der unten stehende Text eine vormalige, unaktuelle Version ist. Anyway:

Es gibt viele, sich teilweise widersprechende Verständnisse und monolithische Analysen davon, was den innersten Kern und das Wesend der Gewalt in der Sprache ausmacht. Es kann zu dieser Pluralität von Verständnissen kommen, weil Verständnis ein fundamentales Existenzial des Daseins ist, (1) gleich-ursprünglich mit Befindlichkeit und Rede,(2) wohingegen letztere fehlen kann, ohne dass deswegen auf das Fehlen der Auslegung geschlossen werden darf.(3) Im Vergleich von Heideggers mit Max Webers Verstehensbegriff, der „soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklärend will,“(4) fallen zwei Punkte ins Auge. Zum einen löst der Heideggersche Verstehensbegriff das Problem des Fehlens letztgültiger Einsicht in den subjektiv geglaubten Sinn nicht wie Weber, durch Rückgriffs auf Evidenz- oder Gewissheitsschlüsse, sondern durch Betonung des Entwurfscharakters des Verstehens. Zum anderen ermöglicht just dieser Entwurfscharakter eine Pluralität von Perspektiven die Rechnung zu zollen, innerhalb derer sich je nach Situationsdefinition und ihren komplexen Zusammenhängen, Erklärungen nach immer wieder neuen Regeln konstituieren. Webers Verstehensbegriff schänkt sich auf eine subjektive Bezogenheit auf andere und Erklärbarkeit ein.(5) Dem hingegen ist „verstehendes Entdecken des Unverständlichen“,(7) ist durch den Entwurf charakterisiert, der „mit der Thematisierung des Unthematischen auch die Horizonte selbst [umfasst], da diese nicht als vorgängig stabile Interpretationsrahmen anzusehen sind.“(8) Die Daseinsanalytik mit dem Existenzial des Verstehens als Entwurf, soll hier einen Rahmen auch für das Verständnis der Verhältnisse von Sprache und Gewalt abgeben.

Trotz und gerade wegen dieses analytischen Ansatzes und der daraus entstehenden Vielfalt kann angenommen werden, dass Gewalt in vielfältig spezifischen und oft komplexen Formen auftritt, die jeweils lokal analysiert werden sollten.(9) Gerade dann, wenn man sich der Pluralität von Gewaltformen und Phänomenen zuwendet, kann man sie nur dann zueinander in Bestimmung bringen, wenn man von ihren verschiedenen Verhältnissen ausgeht.




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1: Heidegger, M.(2001)18: Sein und Zeit, Tübingen: Max Niemeyer Verlag. 336.
2: Heidegger (2001): 161.
3: Heidegger (2001): 157.
4: Winkelmann, J. (Hrsg): Max Weber. Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen: J.B.C. Mohr 1976, S.1.
5: Winckelmann, J. (1988)7: Max Weber. Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebek), S.429.
6: Heidegger (2001): 336.
7: Pasternack, G. (1998): Hermeneutik als Daseinsanalytik. Intrakulturelle Explikationen des interkulturellen Verstehens. 5. 37 —60. In: Studien zur interkulturellen Philosophie, Bd. 9 (1998). S. 59.
8: Vgl. Hanssen, B. (2001): Zur Politik der reinen Mittel: Benjamin, Arendt, Foucault. S.99- 118. In: Erzgräber, U. Hirsch, A. (Hrsg.): Sprache und Gewalt. Berlin: Berlin Verlag. S.118.

August 24, 2006

Gewalt als Dissoziation und Assoziation 7

Die gegenseitige freie Anerkennung, Liebe und Freundschaft vereinigt Verschiedenartiges und macht eine beiderseitige Kooperation möglich. Diese Vereinigung zum Zweck des koordinierten Handelns wird oft auch Macht genannt. „Macht aber besitzt eigentlich niemand, sie entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und sie verschwindet, sobald sie sich wieder zerstreuen.“(1) Gewalt hingegen, sei im Gegensatz zur Macht und deren institutionalisierten Form der Herrschaft, frei von jeder Rechtfertigung und Beschränkung und vielleicht frei von der Zweck-Mittel-Relation.(2)

So sehr den Ersteren die Macht als heilvolle regulative Idee erscheint, die nur zerstört, nicht aber von Gewalt ersetzt werden kann(3)ist den daran Anschließenden die Macht „ein Vermögen, welches großen Hindernissen überlegen ist. Eben dieselbe heisst eine Gewalt, wenn sie auch dem Widerstande dessen, was selbst Macht besitzt, überlegen ist“.(4) Auch wenn die beiden Auffassungen hier antagonistisch gegeneinander stehen, können sie dennoch kakophon gemeinsam klingen, weil beide nicht die ganze Wahrheit beschreiben, sondern Kant die Macht nicht von Stärke oder Kraft differenziert und Ahrend einen auf’s Instrumentelle verengten Gewaltbegriff beschreibt.(5) Damit denunzieren sich beide Autoren als Nutznießer einer der vielen Verbindungen zwischen Macht und Gewalt.

Angesichts dessen, dass Macht als ein Miteinander beschrieben werden kann, das nahe genug ist, um die Möglichkeit des Handelns ständig offen zu halten“,(6) intendieren alle PhilosophInnen dem oder der LeserIn diese Nähe zu vermitteln. Gelingt diese Wahrheitsübertragung, ist durch geteilte Überzeugungen und Wissen neue Macht entstanden. Der Assoziation dieser neuen Macht liegt die Dissoziation der vormaligen Macht zugrunde. Anders gesagt, zwängen, drückten und schieben jene verbalen Umstände, die mit enger Nähe zu der einen Macht verbunden sind, zur Forderung von größter Distanz zur anderen Macht. Die Kehrseite von Assoziation und Nähe ist die Dissoziation von vormaliger Nähe, der Aufbau von Distanz zur vormaligen Assoziation. Was dem Widerstande dessen trotzt, was selbst Macht besitzt, also der Vereinigung Verschiedener überlegen ist, der ursprünglichen Einheit etwas entrückt und ihr verschieden macht, ist die Stärke und Kraft der Gewalt.

Im Folgenden sollen die Überlegungen zu den Verhältnissen von Sprache und Gewalt anhand der Phänomenbündel ‚Gender’ und ‚Bundeswehr’ fortgesetzt werden.



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1: Ahrend, H. (1967)11: Vita activa oder Vom tätigen Leben, München: Piper Verlag. S.252.
2:Benjamin, W. (1977): Gesammelte Schriften. Bd.2. Tidemann R. u.a. (Hrsg.). Frankfurt am Main: Suhrkamp.
3: Ahrend 1967: 255-257.
4: Kant, I.: Kritik der Urteilskraft §28 (II 105)
5: Ahrend: Macht und Gewalt: 12; 63; 52.
6: Ahrend 1967: 253.

August 13, 2006

Utopisch geschützt und christlich verborgen

An einem Ort sollen eine Vielzahl disparater Visionen und utopischer Gedanken wie Strandgut angespült werden, die meist heterodox zueinander sind und daher zu ihrer Polyphonie mehrfach dissonant klingen. Ein solcher Ort tauscht auch nur mit dem Widersprüchlichen, Nichtidentischen und findet Einheit bloß in der Mannigfaltigkeit dessen, was jene Einheit verneint.(1) Ganz gewiss kann es gelingen das A-logische, das Regellose, das Willkürliche, das radikal Fremde und den Anderen, mit dem kein Sinnhorizont mehr geteilt wird, zu befreunden und liebevoll mit einzubeziehen. Wird jedoch danach gefragt ob denn an diesem Ort Wissen von morgen schon heute zu erlangen ist(2), kann diese Funktion des Unidentischen, des Dissoziierten und Unartikulierten ebenfalls nur mit einer Negation beantworten.

Die berühmteste Antwort auf diese Frage nach der Zukunft kannte nach Platons Interpretation schon Sokrates, kurz bevor er den tödlichen Schierlingsbecher leerte. Mit seinem bekannten Ausspruch: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ (3) wies er auf eine grundlegendere und zugleich höhere Einheit des Wissens hin, als der Mensch zu begreifen vermag. Er wandte sich damit, nicht nur gegen die tödliche Enge seiner eigenen geschlossenen, an letzten Wahrheiten aufgehängte Systematik, sondern auch gegen das gefährlich totalitäre System von Glaubensvorstellungen seiner sophistischen Widersacher.

An diesem Ort wird zwar solche Totalität dadurch verhindert, dass der Einzelne zum Gesetzgeber seiner selbst geworden ist, ohne, dass seine individuellen Eigenheiten und Vergangenheiten mehr zählen als die der anderen. Anders gesagt die Zertrümmerung der absolutistischen Moral der getrennten Welten(4) ist verbürgt durch eine Verkleinerung der moralischen Maßstäbe im Internetforum. Was aber verbürgt, dass dieser Sturz in eine regellose Offenheit (5) mit kaum abzuschätzenden Konsequenzen, als Bereicherung erlebt wird (6) oder ein Kontinuum von Diskontinuitäten hervorruft(7)? Sicherlich schließen Globalisierung und Vielfalt sich nicht aus (8) aber alternativ zu Liebe, Billigkeit, Vergebung, Barmherzigkeit, Anerkennung, Freundschaft und Gerechtigkeit als Ziel der versuchenden Moral, können auch anderem nicht nur sich gegenseitig begünstigende Verhältnisse gedacht werden.


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1 Horkheimer und Adorno 2003: Dialektik der Aufklärung. Suhrkamp. S.54.
2 Vgl. Niemann H.-J. (1994): Die Utopiekritik bei Karl Popper und Hans Albert. In: Aufklärung und Kritik 1/1994 (S. 57 ff.)
3 Platon. (1994): Apologie des Sokrates. Erste Rede, 21d. In: Wolf, U. (Hrsg.) Platon. Sämtliche Werke. Übers. Schleiermacher, F. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag.
4 Vgl. Beck, U. (1997): Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus – Antworten auf Globalisierung. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S.137.
5 Byung-Chul, H. (2005): Hyperkulturalität. Kultur und Globalisierung. Merve Verlag Berlin. S.70.
6 Alternativ könnten auch Liebe, Billigkeit, Vergebung, Barmherzigkeit, Anerkennung, Freundschaft Gerechtigkeit das Ziel der versuchenden Moral sein, denn „Globalisierung und Vielfalt schließen sich nicht aus.“ (Byung-Chul 2005: 22)
7 Byung-Chul 2005: 71.
8 ebd. 22.